Man hört es immer wieder und überall: Jeder Einstieg in den Arbeitsmarkt fällt schwer. Aufgrund dessen hat Sindbad ein Mentoringprogramm ins Leben gerufen, dass Jugendlichen dabei helfen soll, genau diesen Einstieg ins Arbeitsleben zu erleichtern. Wie läuft dieses Projekt nun allerdings in Coronazeiten und warum gibt es trotzdem so viele unbesetzte Lehrstellen in Österreich? Lydia Körber von Sindbad – Mentoring für Jugendliche beantwortet diese und weitere Fragen im folgenden Interview.
SH: Bei Sindbad setzen Sie sich dafür ein, dass Jugendliche im letzten Pflichtschuljahr einen Mentor oder eine Mentorin bekommen, die ihnen den Zugang zum ersten Arbeitsmarkt oder einer weiterführenden Ausbildung erleichtern kann. Aktuell sind jedoch rund 14.000 Lehrstellen in Österreich unbesetzt und der Trend steigt immer weiter. Woran könnte das liegen?
Lydia Körber:
Ich denke, das liegt an unterschiedlichen Faktoren. Einerseits die Erwartungen versus der Realität. Jugendliche haben zumeist eine ganz andere Vorstellung von einem Beruf bzw. dessen Ausbildung. Auf der anderen Seite sind die Erwartungen an die Jugendlichen von den Lehrbetrieben sehr hochgesteckt, die für Jugendliche im Alter von 14 – 16 Jahren nur schwer zu erfüllen sind (vor allem schon bei den Einstiegstests).
Der Fokus spielt hier auch eine Rolle. Bei Bewerbungen haben Lehrbetriebe zumeist den Fokus auf den Grundkompetenzen (Deutsch, Mathematik…) und weniger auf die persönlichen Stärken: Motivation, Interesse usw. Viele Jugendliche, die evtl. nicht in der Schule die “1er Schüler*innen” sind, aber große Motivation und Durchhaltevermögen aufweisen, fallen so schnell durchs Raster. Hier ist persönlicher Kontakt sehr wichtig – die Möglichkeit zu einem Vorstellungsgespräch zu kommen, kann schon viel bewirken.
Und die fehlenden Perspektiven spielen hier sicher auch eine Rolle. Jugendliche wissen oft nicht, welche Möglichkeiten bzw. Lehrberufe es gibt und wie man sich bewerben kann. Hier fehlt es an gezielter Information und Sichtbarkeit von Betrieben. Und natürlich die Mobilität. Jugendliche zw. 14-16. Jahren sind bzgl. Mobilität eher eingeschränkt (zum Beispiel kein Führerschein). Das bedeutet, es, werden eher Lehrbetrieb in unmittelbarer Nähe gesucht. Das macht es für Lehrbetriebe am Land nicht einfach.
SH: Wir befinden uns noch in Zeiten der Covid-19 Pandemie. Betriebspraktika und Schnupperwochen bei Unternehmen sind aufgrund dessen oft ausgefallen. Konnten Sie den Effekt, der diese Pandemie hatte, auch bei der Anzahl ihrer Mentees spüren und inwiefern hat Corona ihre Arbeit verändert?
Lydia Körber:
Die Zeit während der Corona-Pandemie war und ist keine leichte. Vor allem für unsere Jugendlichen nicht. Der Ausfall von berufspraktischen Tagen, Praktika usw. war bei der Lehrstellensuche ein großes Hindernis. Ohne Schnuppertage etc. haben Jugendliche keine Möglichkeit gehabt, sich Berufe/Betriebe direkt in der Praxis anzuschauen. Das ist vor allem für den Realitätscheck enorm wichtig. Stattdessen mussten die Schüler*innen zu Hause mindestens 7 Stunden vor Laptops bzw. Handy sitzen, um den Unterricht zu folgen.
Unsere Mentoringteams, soweit es die Maßnahmen erlaubten, trafen sich zum Spaziergehen. Diese analogen Treffen waren enorm wichtig, um die Mentees zu motivieren und um Beziehung aufzubauen. Im harten Lockdown hielten wir unsere Module bzw. Workshops online ab. Diese wurden überraschender Weise gut angenommen.
SH: Bei
Sindbad engagieren sich ja Freiwillige als Mentors für Jugendliche. Wie stellen Sie sicher, dass auch alles glattläuft – worauf muss man dabei achten? Was sind die Hauptgründe warum sich die Mentoren bei Sindbad engagieren?
Lydia Körber:
Es beginnt schon bei der Rekrutierung unserer Mentor*innen. Diese müssen einen fünfstufigen Bewerbungsprozess durchlaufen: die Teilnahme an einem Infoabend, das Durchlaufen eines Erwartungschecks, ein Boarding-Gespräch mit einem/einer Mitarbeiter*in des Standortteams, das Bringen eines Strafregisterauszugs und die Teilnahme am Kick -Off Event. Sobald unsere Freiwilligen ins Tun kommen, werden sie von dem Standortteam begleitet. Es gibt Workshops und verschiedenste Angebote, die sie in Anspruch nehmen können (wie zum Beispiel Rhetorik Trainings, Informationsessions zum Schul- und Lehrstellensystem in Österreich etc.)
Ich denke die Motivation der
Freiwilligen ist sehr unterschiedlich: Viele wollen einfach unterstützen, weil sie wissen, wie schwierig es ist eine Lehrstelle bzw. Ausbildungsplatz zu bekommen. Andere freuen sich auch auf den Ausgleich zu ihrer Büroarbeit, weil sie hier mit unterschiedlichen Menschen in Kontakt treten können.
SH: Was würden Sie sich in Zukunft für Ihre Vision wünschen, was muss sich ändern?
Lydia Körber:
Unser Claim “Wir schaffen Beziehung” ist das, was wir tun können. Wir können keinen Jugendlichen garantieren eine Lehrstelle zu finden oder einen Platz an einer weiterführenden Schule. Was wir jedoch tun können, ist, verschiedenste junge Menschen aus unterschiedlichen Lebenswelten zusammenzubringen und im Idealfall lernen beide Seiten voneinander. Wir wünschen uns für die Zukunft, dass jeder Jugendliche, jede Jugendliche in Wien die Möglichkeit hat beim Sindbad Mentoringprogramm mitzumachen. Das Mentoringprogramm soll nicht nur an Wiener Mittelschulen, sondern auch an PTSen (Polytechnische Schule) und FMSen (Fachmittelschule) fest verankert sein. Jugendarbeitslosigkeit ist ein Thema, dessen Bekämpfung unbedingt aus öffentlichen Geldern und von politischer Seite finanziert werden muss. Dahingehend gibt es noch viel Potenzial nach oben.