Die Zelte stehen wieder - Social Held

Die Zelte stehen wieder

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published by Magdalena Willert
15/02/2021

Als Zeichen der Solidarität haben am Wochenende Menschen aus ganz Österreich für die Flüchtlinge in Moria, Kara Tepe und Lipa kampiert. Der untätigen Regierung zum Trotz.

Ein Beitrag von Magdalena Willert

Ab 12 Uhr werden die Zelte am Heldenplatz aufgebaut. Man platziert sich inmitten der mächtigen Bauten des Ersten. Die Heringe lassen sich leicht in den vom Nieselregen aufgeweichten Boden bohren. Es misst 4 Grad. Der Anlass für die intensivierten Protestmaßnahmen ist die seit Jahren fatale Situation in den Flüchtlingslagern auf der griechischen Insel Lesbos und der Balkanroute: “Noch ein Wochenende für Moria, Kara Tepe und Lipa”.

Der mutmaßlich gestiftete Brand im Camp Moria im September vorigen Jahres hat 12.600 Menschen ihres Obdachs beraubt. Ein Großteil davon wurde in ein “provisorisches” Zeltlager – ebenfalls in Lesbos – in der Nähe des Flüchtlingscamps Kara Tepe gebracht, deren Zustände sogar die katastrophalen Verhältnisse in Moria übertreffen sollten.

In Bosnien ist die Lage ähnlich desaströs. Auch im Camp Lipa wurde ein Brand gestiftet und viele Flüchtende stecken in verlassenen Gebäuden fest, die nur inoffiziell als Lager dienen.

In dem symbolischen Lager am Heldenplatz sind die Organisationen SOS Balkanroute, Freebirds, Seebrücke Wien, die Plattform für menschliche Asylpolitik und die Volkshilfe vertreten. Die Menschen, die ein Umdenken in der Regierung verlangen, werden immer aktiver. Sie fordern die Evakuierung von menschenunwürdigen Flüchtlingslagern, eine gerechte Flüchtlingspolitik und ein Österreich und eine EU, die endlich zum Handeln beginnt.

“Dass wir noch immer Lager haben, in denen Leute ohne Perspektive auf Besserung abgeschoben und allen Zuständen ausgesetzt werden bis hin zu einer pandemischen Gefahr, ist unfassbar”, Georg Hollinetz hat sich durch Einsätze mit der Aktion Weitblick schon selbst von der Situation an manchen Grenz-Lagern überzeugt. Er will Empathie für Flüchtende in diesen Situationen zeigen, wenn er sein Lager auch im Regen aufschlägt.

Auch auf Bundesebene will man handeln. Die Bundesländer gaben bereits bekannt, dass sie Flüchtlinge aufnehmen können und wollen. Es gebe genug Platz, so auch von Seiten Van der Bellens. Bürgermeister Ludwig und Vize Wiederkehr hätten letzten Dezember gerne 100 Flüchtlingskinder in Wien aufgenommen. Doch der Bund stellt sich quer. Innenminister Nehammer findet, Österreich habe bereits genug getan. Er will keine “falschen Signale” senden.

Nicht weit von diesem Entscheidungsort werden die TeilnehmerInnen der Protestaktion trotz stetigem Nieselregen mehr. Das dichte Programm geht weiter. Eine der GastrednerInnen ist Katharina Simunic. Sie war mit SOS Balkanroute an den Orten, die Flüchtende nach der Übersetzung aufs Festland hinter sich bringen müssen.

“What am I supposed to say to a pregnant woman from Afghanistan whose ankle was broken so that she can not go further?” Mit der Premiere ihres Dokumentarfilms macht sie die Situation an den Grenzen mit erschreckenden Bildern greifbar: Quartiere ohne Wasser oder Strom. Verletzte oder kranke Menschen, denen medizinische Hilfe, ein warmer Unterschlupf und ausreichend Nahrung verwehrt bleibt. Und eine Polizei, die nicht zögert, Gebrauch von ihren Schlagstöcken zu machen. Knochenbrüche und tiefe Wunden sind keine Seltenheit.

Auch Kara Tepe, das “neue” Moria, stellt keine Verbesserung der Lage da. Es wurde schlimmer. Ärzte ohne Grenzen berichten unter anderem von Rattenbissen, der Ausbreitung von Krätze, aufgeschwemmter Haut bei BewohnerInnen die sich tagelang nicht vor der Nässe schützen können und psychischen Erkrankungen wie PTBS, Depression und Suizidalität.

Mit “Nobody is free, till we all are free” schließt die junge Aktivistin ihre Rede.

Während dessen sammeln sich immer mehr Grabkerzen und Windlichter: Ein rotes Lichtermeer der Solidarität erhellt den Platz vor der Hofburg. Feuerschalen spenden Wärme und bringen ProtestantInnen zusammen – natürlich mit Maske, es herrscht strenges Vermummungsgebot. Eine der AktivistInnen ist Sonja Kinigadner vom Verein you-are-welcome, die bereits in der 68er-Bewegung aktiv. Sie findet es toll, dass Aktionismus immer noch gelebt wird. Auch die 68-Jährige übernachtet heute hier, um sich für eine Asylanfrage unter menschenwürdigen Bedingungen einzusetzen: “Ich befürworte die Genfer Flüchtlingskonvention und will, dass sie eingehalten wird”. Sie hat auch bei der Flüchtlingsbewegung während des Bosnien-Kriegs in den 90ern in Lagern geholfen und vergleicht die politische Situation: “Damals war es keine Frage, dass man die Flüchtlinge aufnimmt, weil sich das gehört. Man tut, was sich gehört”.

Der letzte Punkt auf dem Programm ist die Live-Schaltung der Protestcamps in den anderen acht Bundesländern. Neu dazugekommen sind diese Woche St. Pölten und Schwechat. Wien protestiert bereits zum dritten Mal und kann an diesem Wochenende 30 Zelte verzeichnen. Das erste Mal wurde bei Schnee und minus vier Grad kampiert. “Das war ganz furchtbar. Ich hab’ nicht wirklich geschlafen”, erzählt Tereza Hossa, die die Moderation übernommen hat. Die Aktion hat am vierten Adventwochenende in Innsbruck begonnen und ist unter anderem mit der Tirolerin nach Wien gelangt. Das Wetter trifft für sie keine Entscheidung: “Wenn es sonnig und fein ist, kommen sie alle zelten. Aber es geht ja auch um eine Symbolik. Deshalb, je grausiger es ist, desto besser.”

Die Innsbrucker haben bereits verlautbart, so lange “noch ein Wochenende” zu kampieren, bis die Menschen in Lesbos evakuiert werden. “Man wünscht sich natürlich, dass Aktionismus gleich etwas erzielt, aber man muss in sehr kleinen Schritten denken, um nicht enttäuscht zu werden”, so Hossa.

Der Abend klingt mit Geige, Gitarre und Melodica im Schein der Feuerschale und Beleuchtung der Hofburg aus. Die Luft im Zelt ist eisig, die getragene Kleidung feucht. Aber die Menschen hier am Heldenplatz liegen sicher in ihren regenfesten Zelten, haben genug Platz und sind mit warmem Essen und Trinken versorgt worden. Am nächsten Tag werden die Zelte wieder abgebaut. Jeder fährt heim in seine geheizten Wohnungen, unter warme Duschen, ins gemütliche Bett. Die Lager auf Lesbos und in Lipa bleiben wie sie sind.

Wie kann man unterstützen?

1. Stay tuned auf Facebook für das nächste Protestcamp: Schnappt euch euer Zelt und euren Schlafsack und nehmt an der Aktion teil. Mehr Infos hier.

2. Für wen das Übernachten doch nichts ist, ist als Gast genauso erwünscht. Das ganze Programm kann auch so miterlebt werden.

3. Die Petition gegen die Kriminalisierung von Seenotrettungen benötigt nur mehr 100 Unterschriften. Hier geht’s zum Online-Formular.

4. Es kann entweder beim Camp oder per Überweisung an Organisationen gespendet werden. Man kann sich übrigens auch vor Ort darüber informieren bzw. sich ansehen, wo die Spenden hingehen.

SOS Balkanroute

Plattform für eine menschliche Asylpolitik

Freebirds

 

Photos Magdalena Willert

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